Es war vielleicht
einer der respektabelsten öffentlichen Auftritte eines Bundespolitikers
in Chemnitz in den zurückliegenden fünf Jahren. Daniel Bahr, Chef
jenes Bundesministeriums, das mit Abstand mit den größten wie nachdrücklichsten
Lobbygruppen aller Größe und Couleur eine tägliche Auseinandersetzung
führen muss, zeigte sich zum Gesundheitsforum, zu dem die FDP-Fraktion
des Sächsischen Landtages am 18. Juli dieses Sommers in das pentahotel
Chemnitz eingeladen hatte, in souveräner Form und auf der Höhe der
Zeit.
Es war alles
andere als ein Ersatztermin, ursprünglich sollte Bahr am 28. März
im Restaurant Flemming des Klinikums Chemnitz auftreten, blieb aber
kurzfristig verhindert. Bereits seine Einführungsrede, völlig ohne
Stichpunkte sicher und mit Unterhaltungswert dargeboten, verriet
deutlich, dass sich mit ideenloser Klientelpolitik und parteipolitischen
Klischees die Zukunft der medizinischen Versorgung in Deutschland
nicht gestalten lässt. Von Ideen dieser begrenzten Struktur müsse
man dauerhaft Abstand nehmen.
Überhaupt sei
die Forderung nach mehr Ausgaben problematisch. Es wäre nicht möglich
gewesen, die vermuteten Goldbarren aus dem Keller des Gesundheitsministeriums
zu verteilen, „die waren nicht da.“ Nach Jahren der Defizite des
Gesundheitssystems sind nun Überschüsse erwirtschaftet worden, was
man ihm jüngst bei einer Konferenz mit europäischen Amtskollegen
zunächst nicht geglaubt habe.
Bahr hielt sich
in seinem Tatenbericht nicht zurück, aktuelle Arbeitsergebnisse
seines Hauses in der Gesundheitspolitik aufzuzählen: Das sogenannte
„Landärztegesetz“ sei ein hervorragendes Arbeitsergebnis der christlich-liberalen
Koalition gewesen, ebenso die Neuordnung der spezialärztlichen Versorgung,
die beiden Seiten – den niedergelassenen Ärzten wie den Krankenhäusern
– neue Möglichkeiten eröffnete. Man habe auch ehrgeizige Einsparungen
im Arzneimittelbudget durchgesetzt. „Unter Horst Seehofer wurden
die Pharmaka der zweitgrößte Ausgabenposten überhaupt, dies haben
wir zugunsten der ambulanten Kosten wieder gedreht“, erinnerte Bahr.
„Als Gesundheitsminister wird man es nie schaffen, es allen recht
zu machen. Und ich glaube nicht, dass Gesundheitspolitik aus Berlin
gesteuert werden kann.“ Eine Regionalisierung der Gesundheitspolitik
sei notwendig, würden doch zwischen und in den Ländern beträchtliche
Unterschiede bestehen.
Die Aufhebung
der Budgetierung für Krankenhäuser werde kommen, aber nicht die
bloße Kostenerstattung. „Krankenhäuser glauben, sie müssten immer
mehr machen, um mehr Geld zu erwirtschaften“, kommentierte er die
endlose Schraube von stetig steigenden Kosten und Refinanzierungen.
Daniel Bahr: „Arbeitsverdichtung und Mengendruck akzeptiere ich
nicht, denn dies wird auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
Wir müssen einen Anreiz gegen den Mengendruck schaffen.“ Die Regierungskoalition
komme den mit Mehrkosten und Tarifsteigerungen belasteten Krankenhäusern
entgegen, weil sonst allenfalls eine nachlaufende Refinanzierung
möglich ist. Der Bundesrat hatte am 6. Juli den teilweisen Tarifausgleich
in Höhe von 280 Millionen Euro bestätigt.
Bahr machte
es offenbar reichlich Spaß, mit Klischees aufzuräumen: „Der Bedarf
wurde ja nie geplant. Seinerzeit hat man nur die bestehende Strukturen
festgeschrieben… Im Gesundheitssystem wird es immer Begrenzungen
geben.“ Nicht alle Herausforderungen im Gesundheitswesen könnten
durch die Politik gelöst werden, das sei illusorisch.
Das Patientenrechtegesetz
werde eine Anpassung erfahren: Bei groben Behandlungsfehlern werde
die Beweislast zugunsten des Patienten umgekehrt. Das wäre zudem
die Orientierung an die aktuelle Rechtssprechung. „Ich möchte aber
keine amerikanischen Verhältnisse, wo der Akteur aus Sicherheitsgründen
zuerst auf das Risiko schaut. Es ist im Interesse des Patienten,
dass nicht die Kultur des Misstrauens ins Gesundheitswesen einzieht“,
erläuterte Bahr seine Intentionen und lehnte den Forderungen aus
der Opposition nach einer generellen Beweislastumkehr ab. Im Übrigen
sei man voller Tatendrang in den laufenden Gesetzgebungsvorhaben
seines Hauses.
Die anschließende
Gesprächsrunde zwischen Friedemann Schmidt, bekannt aus der mdr-Fernsehreihe
Hauptsache gesund und Eigentümer einer Apotheke in Leipzig, schien
ungewöhnlich und einseitig zugleich. Schmidt, der sich augenscheinlich
weniger als Moderator, sondern mehr als Lobbyist und Fürsprecher
seiner Gilde in der Funktion als Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer
und Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apotherverbände
verstand, war den sachlichen-unterlegten Friedemann Schmidt, seines
Zeichens Apotheker und auch mdr-Zuschauern als Studioexperte
und temporärer Moderator der Sendung Hauptsache gesund bekannt,
verzweifelte an den sachlichen Argumenten Bahrs. Argumenten Bahrs
im Großen und Ganzen nicht gewachsen. Bahr zeigte sich auf jeden
provokativen Einwurf hin bestens präpariert und reagierte auf verbale
Angriffe geradezu mit Coolness, was man bei Politikern eher selten
erlebt. „Oft wird mit Empfindungen und Eindruck hantiert, ich aber
halte mich an Fakten“, lautete eine Kurzargumentation des Bundesministers,
nachdem Schmidt mehrfach versuchte, Missstände langweilig aufzuzählen,
unter denen die Apotheker zu leiden hätten.
„Eine FDP hat
keinen Erfolg, wenn sie sich auf die Akzeptanz einer bestimmten
Berufsgruppe konzentriert“, reagierte Bahr auf den Vorwurf, dass
er den „Ruf der FDP als Partei der Ärzte und Apotheker ausmerze“,
wie Schmidt aus der Financial Times Deutschland verkürzt
zitiert hatte. „Wenn Bahr gerade keine großen Reformen verkünden
kann, arbeitet er daran, den Ruf der FDP als Partei der Ärzte und
Apotheker auszumerzen. Forderungen nach geringeren Arzneimittelrabatten
bügelt er ab. Zugleich legt er sich mit dem obersten Standesvertreter
der Kassenärzte wegen dessen üppiger Gehaltssteigerung an. Das passt
nicht ins Bild - auch wenn es ihm in den eigenen Reihen den Vorwurf
einträgt, er setze keine FDP-Akzente. Doch das ist ihm gerade recht“,
lautete das Original aus dem Text von Timo Pache und Christiane
von Hardenberg aus diesem Februar.
Es sei auch
kein Gegensatz, Politik gleichermaßen für Leistungserbringer und
Patienten zu machen, das sei sein persönliches Ziel und eine Herausforderung.
„Es ist eben nicht im Interesse aller Beteiligten, sofort alle Überschüsse
– kaum gibt es sie – zu verbraten.“ Man könne dem Bürger aber nicht
versprechen, dass es billiger wird. Das Geld im System „ist das
Geld der Versicherten und Patienten“. Schmidt widersprach: Es sei
auch das Geld der Leistungserbringer, auch forderte er die bessere
Honorierung der „Leistungsträger der Gesellschaft“.
„Bei allen Fragen,
die sie mir bisher stellen, reden wir nur über Vergütung. Ich finde
im Übrigen, dass man im Gesundheitssystem gutes Geld verdienen kann.“
Im Vergleich mit anderen akademischen Berufen sei die Vergü- tung
sehr gut, auch wenn dieses Argument bei Ärzten, Zahnärzten und Apothekern
nicht gut ankäme. Bahr war nicht zu Unrecht genervt und meinte,
dass man nicht den ganzen Abend mit Fragen dieser Richtung verbringen
könne.
Träumerischen
Versprechen aus anderen Sphären erteilte Daniel Bahr eine Absage:
„Es wird nie Gesundheit zum Nulltarif geben. Ich bin ein Anhänger
der Eigenbeteiligung und ein Gegner der Praxisgebühr, die nichts
bringt und nur die Bürokratie erhöht.“ Später ergänzte er: „Die
Abschaffung der Praxisgebühr liegt auf dem Tisch.“ Die Praxisgebühr
habe durch ihre Struktur sogar zu mehr Arztbesuchen geführt - das
sei einst anders gedacht gewesen. „Fünf Euro bei jeden Arztbesuch
bringt auch nichts, das glaube ich“, meint Bahr, der sehr bewusst
auf die Fachthemen setzte und keine Parteipolitik durchschimmern
ließ. Allerdings könne ein Gesundheitsminister nie allein bestimmte
Vorhaben durchsetzen, da säßen auch ein Finanz- und ein Innenminister
mit am Kabinettstisch, die bei bestimmten Vorhaben zustimmen müssten,
oft auch die Länder.
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Eine Senkung
der Krankenversicherungsbeiträge verwarf er: „Der Versicherte hat
nicht viel davon, wenn der Versicherungssatz um 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte
gesenkt wird, das sieht er nicht auf dem Lohnzettel.“ Dafür gäbe
es inzwischen eine Leistungsausweitung der Krankenkassen oder mehr
Wettbewerb um innovative Tarife. Er sei auch für die Transparenz
der in Anspruch genommenen Leistungen. Bahr lobte die AOK plus,
deren Chef Rolf Steinbronn im Publikum saß, für deren Transparenzoffensive.
„Wir haben einen
so breiten Leistungskatalog - für alle - wie in keinem Land der
Welt, ein System, das den Zugang zu medizinischen Innovationen allen
öffnet. Erst jüngst hätte ihn der britische Gesundheitsminister
gefragt, „wie man das in Deutschland“ mache. „Ich glaube, dass eine
Einheitsversicherung nicht die Lösung ist, sondern die Probleme
verschärft“, so Bahr auf die gestellte Frage zur Zukunft der Zweigleisigkeiten
von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. „Der freiberufliche
Arzt ist ein Wesensmerkmal unseres Gesundheitswesens und ein wesentlicher
Grund, was es so stark macht.“ Er halte auch nichts von der Diskussion
um die Infragestellung der Zweigleisigkeit der Facharztschiene.
„Ich wehre mich
dagegen, dass die Trägerschaft und Rechtsform eines Krankenhauses
entscheidend für die Qualität ist“, sagte Bahr. Er wisse, wovon
er rede, er hat auch Krankenhausmanagement studiert. „Guckt euch
mal Sachsen an, wie man eine gute Krankenhauspolitik macht“, sage
er immer der CSU. "Warum
werden die Ketten nicht unterbunden, wie sie in der heutigen Form
agieren?“ lautete eine Publikumsfrage. Bahr setzt in dieser Sache
auf das Kartellamt zur Regulierung: „Eine Klinikkette ist dann ein
Problem, wenn sie eine freie Krankenhauswahl und eine freie Arztwahl
einschränkt.“ Das sei auch die Grundlage für eine differenziertere
Betrachtung der MVZs gewesen, die partiell zur Einweisungskanalisierung
beigetragen hätten. Hier hätten sich insbesondere die Rhön-Kliniken
hervorgetan.
Er verstehe
die spezifischen Probleme der Krankenhäuser. So habe man in seinem
Ministerium das Problem der sogenannten „doppelte Degression“ für
Krankenhäuser bei Mehrleistungen angegangen. Sie entsteht, weil
durch „Mehrleistungsabschläge“ wiederum die Preise für sämtliche
Krankenhausleistungen in dem jeweiligen Bundesland sinken. So werde
man die Mehrleistungsabschläge in den Kliniken auf die Jahre 2013
und 2014 begrenzen, danach sollen sie entfallen, so Bahr.
Die abschließende
Aufforderung Schmidts, dem Auditorium fünf gute Gründe zu nennen,
warum Apotheker und Ärzte wieder FDP wählen sollten, schien Bahr
zu schlicht und eindimensional. Sein Schlüsselsatz des Abends war
indessen kurz und unwiderlegbar: „Politik beginnt mit dem Erkennen
der Realitäten.“
Uwe Kreißig
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